Blended Learning: Regeln für E-Learning in der Schule

E-Learning und Blended Learning sind in der freien Wirtschaft Begriffe, die den meisten geläufig sind. Viele Firmen wenden es an, um Mitarbeiter zu schulen. Doch wie sieht es in den Schulen aus?

In Gesprächen mit Lehrern verschiedener Fachbereiche erfuhr ich, dass E-Learning an (Haupt-)Schulen nicht die Regel ist. Der meistgenannte Grund war, dass E-Learning zu viel Aufwand bedeute, die Englischlehrer monierten, dass nicht genügend Räume bzw. Computer zur Verfügung stünden oder die technischen Möglichkeiten innerhalb der Schule nicht gegeben wären, ausgenommen hiervon der KtB-Unterricht. Auf die Technische Ausstattung können wir als Lehrer aus finanziellen Gründen oft keinen großen Einfluss nehmen. Jedoch hörte ich auch, dass ein Grund für seltene Nutzung sei, dass Schüler das Angebot, sofern es denn besteht, gar nicht nutzen würden. Als ich darauf nachfragte, ob Blended Learning praktiziert würde, d. h. das Arbeiten mit dem Online-Angebot im Unterricht eingeführt worden sei und integ­riert würde, wurde verneint. Ich denke, mit dem E-Learning ist es wie mit vielen an­deren Dingen: Ohne Motivation und Einführung klappt es einfach nicht! Mit dieser Er­kenntnis überlegte ich mir, wie man die Schüler (und Lehrerkollegen) für das E‑Learning begeistern könnte. Dabei half mir meine Erfahrung in der Industrie:

 

Erfahrungen aus der Industrie

In meiner früheren Tätigkeit als Programmleiterin für Internationalisierung der Com­puterfirma Compaq Computer war ich u. a. für die korrekte Übersetzung, den Test und Produktion von Software, Entwicklung von Hardware und Anwenderdokumenta­tion für Europa, den Nahen Osten und Afrika zuständig. Nachdem wir angefangen hatten, bestimmte Software in andere Spra­chen zu übersetzen, stießen wir auf immense Probleme: Die Software war in vielen Teilen nicht in europäische Sprachen übersetzbar, da der Code nicht für Übersetzun­gen geschrieben war. Wir nannten das engl. hard coded. "Hartkodiert" bedeutete zum Beispiel, dass das amerikanische Datumsformat (Monat/Tag/Jahr) nicht verändert werden konnte, was nicht nur den Anwender verwirrte, sondern auch technische Fol­gen haben konnte. Hartkodiert bedeutete auch, dass Übersetzung von Text in der Software oft unmöglich war, denn die Übersetzung passte nicht in den dafür zur Ver­fügung stehenden Raum. Beispiel:

Die Übersetzung von SAVE, also "Speichern" ist nicht möglich, da die Schaltfläche in ihrer Größe nicht veränderbar, der Platz für mehr Buchstaben daher ausreichend ist. Hartkodiert bedeutete auch, dass Zeichen jenseits von ASCII nicht möglich waren: keine Umlaute, Sonderzeichen, Akzente, etc. Die Auswirkungen auf Sprachen mit Ak­zenten wie Französisch oder Sprachen mit anderen Buchstaben wie Spanisch kann sich jeder vorstellen, der diese Sprachen spricht. Die Anwender-Handbücher zum Übersetzen (aus dem Englischen) bekamen wir als Dateien in teilweise abenteuerli­chen Programmen und vor allem in abenteuerlichen Layouten, manchmal ganz ohne Formatvorlagen. Folge war, dass die in bis zu 16 Sprachen übersetzten Handbücher nach der Übersetzung neu gelayoutet werden mussten, ein ungeheurer Zeit- und Kostenaufwand! Und ziemlich viel Frust von mir! Ich setzte mich daraufhin hin und schrieb lange E-Mails mit Verbesserungsvorschlägen an meine Kollegen in den USA. Reaktion darauf war Entrüstung: Man habe gar keine Zeit, etwas am bisherigen Sys­tem zu ändern und außerdem habe alles wunderbar funktioniert bis ich aufgetaucht wäre. Folge davon: Noch mehr Ärger meinerseits! – Daraufhin versuchte ich, meine Gedanken in hübschen Grafiken und PowerPoint zu visualisieren. Diese schickte ich wieder weit weg nach Amerika zu den frustrierten amerikanischen Kollegen. Keine Reaktion. Bald merkte ich, dass sich nicht wirklich viele Leute meine Schulungspräsentationen ange­sehen hatten. Es dauerte dann noch eine Weile, irgendwann lud man mich genervt zu Gesprächen ins ferne Texas ein. Gemeinsam erarbeiteten wir daraufhin E-Learning-Materialien in Form von PowerPoint-Präsentation für amerikanische Kollegen, WBTs für die Entwickler, etc. Leider veränderte sich auch daraufhin nicht viel. Erst als ich regelmäßig in die USA flog, um meine Kollegen zu schulen, und um deren Vorgesetzte vom Konzept zu überzeugen, erst als die ersten Hürden in Form von Systemänderun­gen genommen waren, als die Programmierer auch mit den Übersetzern direkt Kontakt aufnahmen, als wir nachschulten und das Gelehrte immer wieder aufgriffen und sich dann irgendwann Erfolg einstellte, begannen alle Beteiligte mit Freude an den Veränderungen zu arbeiten.

Warum habe ich das so ausführlich dargestellt? Ich will damit sagen, dass es nicht genügt, hervorragende Materialien und damit auch E‑Learning-Materialien einfach nur anzubieten. Im Falle meiner Kollegen haben sie die Hilfen nicht angeschaut oder sie haben sie sich zwar angeschaut aber auf den ersten Blick nicht verstanden. Erst als das Material gemeinsam besprochen wurde, als Vorgehensweisen gemeinsam (!) ver­einbart waren, war das Projekt erfolgreich. Ich denke, mit E-Learning ist es sehr ähn­lich: Stellt man Materialien einfach nur zur Verfügung, werden nur wenige sie nutzen. Nimmt man sich aber die Zeit, ins System einzuführen und immer wieder darauf zu­rück zu kommen, sollte es funktionieren. Ich hab also meine Erfahrungen mit meinen englischen Kollegen genutzt um einen Katalog zu entwickeln, wie man bei der Ein­führung von E‑Learning vorgehen könnte, wie man also Blended Learning praktizieren sollte. Dieser Katalog gilt sowohl für Wirtschaft als auch für Englisch.

1. Regel: Einführung in die technische Lehrumgebung

Man sollte sich unbedingt die Zeit nehmen, im Unterricht (für Schüler) oder einem Workshop (für Kollegen) in die technische Lehr- und Lernumgebung einzuführen. Am Ende der Einführung sollte jeder neue Nutzer eine Art Leitfaden mit Betriebsanleitung und Regeln erhalten. Während des Schuljahres muss für technische Fragen Raum ge­geben werden.

 

2. Regel: Stabilität des technischen Systems

Haben Schüler erst einmal vergeblich versucht, ein System zu nutzen, das nicht funk­tioniert, werden sie schnell aufgeben. Wichtig ist also Stabilität des Systems und Know-How (der Lehrkraft oder Beauftragten) in der Administration. Wichtig ist auch, dass Dateien ohne Aufwand herunter geladen werden können, am besten sollten die Dateien direkt mit Doppelklick zu starten sein.

 

3. Regel:  Ansprechen verschiedener Lernintelligenzen

Seit einiger Zeit spricht man nicht mehr von Lerntypen, sondern von "Lernintelligen­zen". Lernintelligenzen: Howard Gardner unterscheidet "Multiple Intelligenzen": Intrapersonale Intelli­genz, Verbal-linguistische Intelligenz, Logisch-mathematische Intelligenz, Räum­lich-visuelle Intelligenz, Körperlich-kinästhetische Intelligenz, Interpersonale Intelli­genz, Musikalische Intelligenz, Naturalistische Intelligenz. Im E-Learning können die verschiedenen Intelligenzen durch verschiedenartige Übungsmöglichkeiten und Bei­träge sollten die unter­schiedlichen Lernintelligenzen angesprochen werden. „Bunt“ und abwechslungs­reich heißt die Devise! Schüler lieben Videos, Witze, Cartoons. Warum kein Witz? Visuelle Medien können in hohem Maße die Emotionen wecken und mit Emotionen lernt sich’s leichter!

Ein Lied spricht die Schüler mit Musikalischer Intelligenz an. Hier könnte man ein Lied wählen, das in die jeweils aktuelle Lernthematik passt: Das kann ein Lied wie "Bloody Sunday" von U2 sein, wenn ich den Nordirlandkonflikt in einer M10 behandle. Das Lied kann ich anschließend dazu nutzen, Verben heraussuchen zu lassen und mit diesen Verben dann auf irgendeine Weise grammatikalisch arbeiten.

Hervorragend eignet sich das Internet auch dafür, Zusammenhänge wie die Hardware eines Computers zu erklären. Auf YouTube findet sich hiefür so manch lehrreiches Material. Ein Beispiel: Die Sendung mit der Maus führt super in das Internet ein. In Hot Potatoes kann man Zuordnungsübun­gen, Multiple Choice-Aufgaben, Kreuzworträtsel, Lückentexte entwickeln. Das geht schnell, ist kostenlos und die Abwechslung freut die Schüler.

 

4. Regel: Differenzierung

Wie im Unterricht gilt es im Online-Bereich Aufgaben auf verschiedenen Niveaus an­zubieten. Siehe auch (E-Learning zuhause).

Für den Englischunterricht im Klassenzimmer stelle ich mir eine Lerntheke vor, in der der Computer eine Station ist, auf der Übungen bereit gestellt sind. In einer Englisch-E-Learning-Stunde über das Schreiben von E-Mails habe ich dahingehend differen­ziert, dass ich die stär­keren Schüler ermutigt habe, nach Vorübungen direkt selbst eine E-Mail zu schreiben, während die schwächeren mithilfe von Textbausteinen noch Unterstützung bekamen. Im Fach Wirtschaft hat man beim Tastschreiben im TuBp oder Tipp 10 die Möglichkeit, über eine Leuchttastei zu schreiben oder von Vorlage oder von Vorlage am Bildschirm. Je nach Vorliebe bzw. Könnensstufe. Die Leuchttastei eignet sich hervorragend auch, um neue Elemente wie die Großschreibung zu visuali­sieren und durch das unter­schiedliche Maß der Abstraktion eben wieder zu differen­zieren.

 

5. Regel: Belohnung

Warum nicht ein Belohnungssystem einführen und die Fortschritte der ganzen Klasse im Klassenzimmer transparent machen? Als meine große Tochter in der dritten Klasse war, führte ihre Lehrerin einen Lesepass ein. Auf dem Pass wurde von den Eltern no­tiert, wie viel die Kinder in einer Woche gelesen hatten. Minimum waren pro Wochen­tag zehn Minuten, also 50 Minuten pro Woche. Schaffte ein Kind 100 Minuten oder mehr, wurde an die Rückwand des Klassenzimmers ein Stern zum Namen des Kindes ge­hängt. Das war eine tolle Motivation, in der Woche darauf wieder viel zu lesen.

Ich könnte mir so etwas ähnliches auch für E-Learning vorstellen: Die Schüler könnten in einer Art Lerntagebuch ihre gemachten Übungen, eventuelle Schwierigkeiten oder Fortschritte dokumentieren. Schafft ein Schüler mehr als das geforderte Pensum, könnte man an irgendeine sichtbare Stelle im Klassenzimmer Belohnungszeichen auf­hängen. Etwa für jedes Extrapensum einen (E-Learning-)Minicomputer mit dem Na­men des Schülers, der das Pensum geschafft hat. Sobald eine bestimmte Anzahl von E-Learning-Computern hängt, gibt’s keine Hausaufgabe für den Schüler, oder eine Leberkässemmel für den, der am meisten hat, oder ….

Aus psychologischer Sicht ist das Belohnungssystem, das ich als Lehrkraft einführe, dann ein bisschen wie "operantes Konditionieren": Durch die Belohnung erfolgt eine positive Verstärkung, die Freude auslöst -->  Kind spielt/lernt/übt mehr --> Kind wird belohnt --> Kind freut sich, etc.

 

6. Regel: Integration des E-Learning in den Unterricht

Die Integration des E-Learning in den Unterricht, i. e. Blended Learning scheint mir persönlich der wichtigste aller sechs Punkte zu sein. Oben habe ich beschrie­ben, wie wichtig es selbst für uns Studierende war, dass der Arbeit am Computer ein bestimmtes Maß an Instruktion voraus ging und eine Sicherungsphase folgte. Diese Erkenntnis lässt folgern, dass es (besonders im Unterricht an der Hauptschule) im Umgang mit Schülern ein absolutes MUSS ist, die Schüler bei den ersten Schritten im E‑Learning zu begleiten.